Eine kurze Geschichte der Käseherstellung mit Distellab
Fast alle Käse werden mit den gleichen Schritten und Zutaten (Milch, Kulturen, Lab, Salz) hergestellt:
- Man beginnt mit warmer Milch.
- Man fügt Kulturen (z.B. Joghurt oder Kefir) hinzu, um die Milch zu fermentieren bzw. Laktose in Milchsäure umzuwandeln.
- Man fügt Labenzym hinzu, um Proteine zu binden und den Käsebruch zu bilden.
- Man schneidet oder schöpft des Käsebruch, um die Molke vom Käsebruch zu trennen.
- Man rührt, kocht (brennt) und/oder lässt die Dickete/Gallerte abtropfen.
- Man gibt den Käsebruch in eine Form, presst, salzt ihn und lässt ihn reifen.
- Man lagert den alterungsfähigen Käse oder verzehrt ihn frisch.
Die Unterschiede im Geschmack und in der Textur sind entweder technologische Feinheiten, z. B. wenn die Käser den Käsebruch in Formen schöpfen, anstatt ihn zu schneiden und zu rühren, oder die Art der verwendeten Zutaten, z. B. den Bakterienkulturen. Nur ein winzig kleiner Unterschied kann einen völlig anderen Käse ergeben – wie die Verwendung von Distellab anstelle des traditionellen tierischen Labs.
In jüngster Zeit hat pflanzliches Lab immer mehr an Bekanntheit gewonnen, zum einen aufgrund der wachsenden Nachfrage nach vegetarischen Produkten und weil die Nachfrage nach Milchprodukten ständig steigt und die Industrie mit der Produktion von tierischem Lab nicht mithalten kann.
Weitere Faktoren sind der hohe Preis und die beschränkte Verfügbarkeit von Mägen von Wiederkäuern, ferner Ernährungsweisen wie Lakto-Vegetarismus. Viele Vegetarier meiden aus unterschiedlichen Gründen Käse, der mit tierischem Lab hergestellt wurde und andere wollen ganz einfach keinen „Blutkäse“ essen.
Auch religiöse Ernährungsvorschriften (z.B. Koscher und Halal) oder auch das Verbot von Kalbslab aus der Produktion von gentechnisch veränderten Organismen in vielen europäischen Ländern (z.B. Frankreich, Deutschland und die Niederlande) sind Gründe für die Verwendung von pflanzlichem Lab.
Eine Alternative zu tierischem Lab ist neben pflanzlichem Lab, mikrobielles Lab, rekombinantes Chymosin (von GVOs – gentechnisch veränderten Organismen produziert). Das ist aber nicht jedermanns Sache.
Pflanzliches Lab wird jedoch bereits seit Tausenden von Jahren bei der Käseherstellung verwendet, und es lohnt sich, diese Käse zu probieren.
Die stachelige und knollige Kardone (Cynara cardunculus) mit ihrem violetten Schopf ist eine eindrucksvolle Distel aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae), der auch die Sonnenblumen angehören. Als mehrjährige Pflanze, die in einem trockenen Sommerklima gedeiht, ist die wilde Kardone seit langem im sonnigen Mittelmeerraum zu finden. Sie wächst dort schon so lange, dass die Verwendung der Artischockendistel in der Käseherstellung bis in die Antike zurückreicht.
Ob dieser Nutzen durch systematisches Ausprobieren oder durch einen glücklichen Zufall entdeckt wurde, ist nicht bekannt, aber die Tatsache, dass die Distel wild wuchs und nicht so wertvoll war wie ein Tier, hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass sie so lange in der Käseherstellung verwendet wurde.
Tierisches Lab wird aus den sogenannten Hauptzellen der Magenschleimhaut des vierten Magens (Labmagen) junger, noch Milch saugender Wiederkäuer gewonnen, wo Enzyme (vor allem Chymosin) den Verdauungsprozess durch Gerinnung der Milch unterstützen.
Analysiert man das aus der Artischockendistel (Cynara cardunculus) gewonnene Lab, so ist seine Gerinnungsfähigkeit der des tierischen Labs sehr ähnlich. Die Zubereitung beginnt mit der Entfernung der mit Wasser in Kontakt gebrachten Blätter. Der Distelextrakt enthält zwei Enzyme: Cardosin A und Cardosin B, die in Bezug auf die Hydrolyse ähnliche Eigenschaften wie Chymosin bzw. Pepsin haben. Der Prozess ist also ähnlich. Die bekanntesten italienischen Käse, die mit pflanzlichem Lab hergestellt werden, sind: Caciofiore di Columella, mit einer langen Geschichte und Tradition, der auch ein Slow Food-Förderkreis geworden ist und Fiore Sardo DOP. Die Herstellung von Käse aus pflanzlichem Lab ist auf industrieller Ebene noch nicht weit verbreitet, so dass man, um einen völlig vegetarischen Käse zu probieren, zu kleinen handwerklichen und lokalen Herstellern gehen muss, die oft alte Rezepte beibehalten.
Da für die Gewinnung von konventionellem Lab junge Tiere geschlachtet werden müssen, sind Distel- und andere pflanzliche Labsorten sowohl aus Gründen der Zugänglichkeit als auch wegen ihrer Vielseitigkeit bei der Anpassung an kulturelle Bedürfnisse kostbar. Die Methode Käse aus Distellab zu machen war auch sicher der Not geschuldet, da Lab aus Kälbermägen schlichtweg unwirtschaftlich war. Ein Kalb war viel zu wertvoll, um es für die Labgewinnung zu schlachten und selbst der Magen diente als Nahrungsmittel.
Columella, der 70 n. Chr. starb, beschrieb in Buch 7 seines 12-bändigen Werks über die römische Landwirtschaft, „De Re Rustica“, die Käseherstellung mit Disteln. Es ist zwar wahrscheinlich, dass die fleißigen alten Römer das Konzept der Käseherstellung mit Distellab nach ganz Europa exportiert haben, aber die Technik hat ihren Ursprung in Griechenland. Immerhin waren es die Griechen die Italien nach dem Trojanischen Krieg besiedelten und die Fertigkeit der Käsebereitung importierten.
Es gibt auch eine Theorie, die den iberischen Juden in Spanien und Portugal die Entwicklung von Distellab zugeschreibt, da die jüdischen Speisegesetze das Mischen von Fleisch mit Milch verbieten und tierisches Lab als Fleischprodukt gilt. Wie in „The Oxford Companion to Cheese“ (Oxford University Press, 2016) beschrieben, „kamen die Juden bereits im ersten Jahrhundert v. Chr. nach Spanien, und die Belege für die Herstellung von Käse mit Distellab folgen im Allgemeinen ihren Migrationsmustern, als sie auf der Suche nach Sicherheit und wirtschaftlicher Selbstbestimmung je nach dem sozialen Druck der folgenden Jahrhunderte um die Halbinsel zogen.“
In der Tat stammen die bekanntesten mit Distellab hergestellten Käse auch heute noch von der Iberischen Halbinsel und aus Italien und die daraus resultierenden Käsesorten sind charakteristisch weich, mit nuancierten Aromen, die das lokale Terroir deutlich zum Ausdruck bringen.
Die gesunde Wirkung der Artischockendistel wird auch in einigen bekannten „Amari“, also Bitterlikören bzw. Aperitives benutzt.
Die Legende der Artischocke
Die Legende besagt, dass Zeus, der König der Götter, vom Olymp herabstieg, um seinen Bruder Poseidon am Meer zu besuchen. Als er über das glitzernde Wasser der Ägäis blickte, fiel sein Blick auf eine schöne junge Frau, die barfuß auf den grauen Steinen stand, die sich am Ufer der Insel Kinaros erstreckten. Sie starrte über das Meer zurück, ein wunderschönes Mädchen mit aschfarbenem Haar, grünen Augen und lila Pupillen, mit Feuer in den Augen, unbeeindruckt von seiner gewaltigen Göttlichkeit. Ihre Blicke verharrten in etwas, das man nur eine Umarmung des Schicksals nennen kann.
Was Zeus will, bekommt Zeus. In diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher als diese Sterbliche, mit Augen, die vor Vitalität glühten, und einem Gesicht wie eine Blume, die sich der Sonne zuwandte. Sie wurde Kynara genannt, nach der Insel, die sie ihr Zuhause nannte.
Zeus, der ein listiger Verführer war, näherte sich Cynara in all seiner Pracht und versprach ihr den Himmel und den Mond, wenn sie einwilligte, seine Geliebte zu werden. Sie lehnte ab. Er versprach ihr alle Blumen auf den Feldern über dem Meer. Doch sie lehnte ab. Dann zog er sich in sich selbst zurück, als wolle er die Angst etwas zu verpassen, die wir Menschen so stark empfinden, schüren, und machte ihr ein letztes Angebot, dem sie unmöglich widerstehen konnte. Zeus würde Cynara die Gabe der Göttinnenschaft gewähren und ihre sterbliche Seele aus dem Schmutz und den Steinen dieser Erde befreien, wenn sie im Gegenzug immer in seiner Nähe im Haus der Götter auf dem Olymp leben würde – als seine Geliebte in einer Affäre, die eine Ewigkeit dauern würde, solange Hera, seine Frau (und Schwester), gut beschäftigt war.
Das konnte Cynara einfach nicht ablehnen. Könnte das irgendjemand von uns? So machte sie an jenem Tag ihren letzten sterblichen Schritt von den sonnenverbrannten Felsen der Küste in die kühlen Marmorhallen des Olymps.
Aus Tagen wurden Wochen, und ihre Affäre zog sich durch die kühlen Nächte wie die Leine eines Fischers, die tief ins blaue Meer geworfen wird. Hera war oft mit königlichen Angelegenheiten beschäftigt, so dass Zeus und Cynara fleischlichen Vergnügungen nachgehen konnten. Doch als die Monate zu Jahren wurden, begann Cynara tief in ihrer Seele das Gefühl der Einsamkeit zu spüren. So widerstandsfähig das menschliche Herz auch sein mag, es ist weich wie der Lehm der Erde und vergisst nie den Stoff, aus dem es geformt wurde, auch wenn ein Gott es bearbeitet. Mit der Zeit sehnte sich Cynaras Herz nach den sonnenüberfluteten Felsen, die ihre Fußsohlen verbrannten, nach der erfrischenden Kühle der Ägäis, nach dem Salz des Meeres, das in ihrem Haar trocknete. Sie vermisste die warme Umarmung ihrer Mutter, das Knistern des Feuers auf dem Herd, den Geruch von über Kohlen gebackenem Brot. Während die Existenz eines Gottes kalt und hart ist, ist das menschliche Dasein eine Mischung aus Feuer und Eis, Schmerz und Freude, salzigen Tränen und Liebe. Die Sehnsüchte der Sterblichen waren so groß, dass sie selbst von der Flamme der Leidenschaft des Zeus nicht gestillt werden konnten.
Cynara begann, sich hinauszuschleichen, ihr Haus und ihre Mutter abends zu besuchen, am Meer entlang zu gehen, wenn die Sonne unterging, obwohl sie ihre Wärme nicht mehr spüren konnte. Als Zeus Cynara aufsuchte und ihr Schlafgemach meist leer vorfand, wurde er wütend. Es gibt nichts Verrückteres als die Verachtung eines Sterblichen.
Ich sagte eingangs, Zeus sei listig, und so ersann er eine Falle und stellte Wächter auf, die ihn benachrichtigen sollten, wenn Cynara aus den eisgrauen Hallen schlüpfte, um wieder einen Fuß auf den Staub der Erde zu setzen. Dann betrat er ihr Schlafgemach und verschwand hinter dem Wandteppich auf der Lauer. Als Cynara mit einem Hauch von Rosa auf den Wangen zurückkehrte, stürmte Zeus in den Raum, nahm ihren Körper in seine gewaltigen Handflächen und zermalmte und zerbröselte ihre Glieder wie eine Handvoll trockener Blätter, bis nur noch ihr zartes menschliches Herz übrig war. Dieses warf er von den Höhen des Olymps auf die felsige Insel Kinaros hinunter.
Aus dem Herzen von Cynara, das tief in den Boden der Erde gepflanzt war, wuchs ein schlanker, goldener Stiel mit einer Blüte, die sich der Sonne zuwandte. Ihre Blütenblätter waren mit wilden Widerhaken bewaffnet, die ein weiches, aber widerstandsfähiges Herz im Inneren bewachten – ein Herz aus Erde und Sonne, die Beute von Menschen und Göttern gleichermaßen. So entstand Cynara cardunculus – das, was wir als gemeine Artischocke kennen.
Artischocken, die im antiken Griechenland und Rom die Tische der Adligen und Könige schmückten, wurden im Europa des 16. Jahrhunderts nur von Männern konsumiert, da ihnen eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wurde.
Die Geschichte einer wilden und dornigen Pflanze, die sich auf legendäre Schönheit und wohltuende Eigenschaften für den Menschen erstreckt, hat sie schon immer geheimnisvoll gemacht. Caterina de’ Medici brachte die Artischocke bei ihrer Hochzeit mit König Heinrich II. zum ersten Mal von Florenz nach Paris und sorgte dafür, dass dieses Gemüse seinen Platz auf den königlichen Tafeln einnahm.